Ahmadreza Haeri, politischer Gefangener im Iran und mein politischer Pate, schildert in einem Brief die grausamen Bedingungen im Ghezal-Hesar-Gefängnis und berichtet von Hinrichtungen.

Mich hat ein Brief meines politischen Paten Ahmadreza Haeri aus Iran erreicht. Haeri wird vom iranischen Regime im Ghezel-Hesar-Gefängnis gefangen gehalten. Das Gefängnis ist für seinen barbarischen Umgang mit den Inhaftierten und eine hohe Zahl an Hinrichtungen bekannt. Jeden Dienstag geht Haeri mit weiteren Mitgefangenen in den Hungerstreik, um gegen die Hinrichtungen zu protestieren.

Der Brief:

Dank Unterstützung der Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help bei der Übersetzung liegt Haeris Brief in deutscher Sprache vor. Haeri schildert darin die letzten Stunden und Minuten, bevor Mithäftlinge hingerichtet werden. Im Folgenden werden Auszüge des Briefes wiedergegeben:

„Es ist gegen 8 Uhr abends am Dienstag. Ich stehe in der Ecke meiner Einzelzelle im Sicherheitstrakt der Abteilung 3 des Ghezal-Hesar-Gefängnisses und starre immer noch auf die Wand vor mir“, schildert Haeri die Szenerie. Haeri beschreibt, wie er Schritte auf dem Gang hört, das Drehen des Schlüssels in der Tür einer Zelle nebenan. „Ich hatte gehört, dass politische und ideologische Gefangene und andere zum Tode Verurteilte ein oder zwei Nächte vor ihrer Hinrichtung in diese Zellen verlegt werden.“

Er kann, so schildert es Haeri weiter, das Gespräch zwischen einem Imam, einem geistlichen Führer im Gefängnis, und einem anderen Gefangenen, der zum Morgengebet gehängt werden soll, mitanhören und dokumentiert folgenden Dialog:

Imam: „Sohn, deine Hinrichtung steht bevor. Ich bin gekommen, um zu sehen, ob du irgendwelche letzten Worte oder ein Testament hast, die ich für dich festhalten kann!“

Gefangener: „Hadschi Agha, was für eine Hinrichtung? Was für letzte Worte?! Ich schwöre bei Allah, ich bin unschuldig!“

Imam: „Schau, das betrifft mich nicht! Ich bin nur gekommen, um zu sehen, ob du irgendwelche letzten Worte hast, oder ob du Schulden hast, die als Almosen und Zakat gezahlt werden müssen, damit deine Familie sie begleichen kann und du in der nächsten Welt nicht verschuldet bleibst.“

Gefangener: „Was sagen Sie? Was ist Almosen und Zakat?! Ich sage, ich bin unschuldig! Mein Anwalt hat gesagt, dass das Gericht den Fall erneut prüfen wird. Sie sagen, das Urteil soll aufgehoben werden! Was sagen Sie? Ich verstehe nichts!“

Imam: „Ich habe gesagt, dass diese Dinge mich nicht betreffen. Ich bin gemäß unserer religiösen Tradition nur gekommen, um zu sehen, ob du irgendwelche letzten Worte hast.“

Gefangener: „Verflucht seist du und dein Glaube und alles!“

Haeri schreibt: „Das Geräusch der Wärter und das Schaudern des Gefangenen innerhalb der Zelle sowie das Schlagen und Verschließen der Zellentür beenden diesen schrecklichen Dialog.“

In den Morgenstunden wird Haeri dann Zeuge der Hinrichtung: „Gegen 4 Uhr morgens werden die Gefangenen für die Vollstreckung des Todesurteils aus dem hinteren Tor, das zum Gefängnishof hinter dem Gang führt, herausgeführt. Das dumpfe Geräusch des Anziehens der Fußfesseln auf dem Boden ist zu hören. Die erstickten Schreie der Verurteilten dringen durch, als wäre es eine Hinrichtungssymphonie. Die Hinrichtungssymphonie...“

Der Brief meines politischen Paten macht mich sehr betroffen. Ahmadreza Haeri hat eindrucksvoll die barbarischen Umstände im Ghezal-Hesar-Gefängnis und die Grausamkeit des iranischen Regimes gegenüber Andersdenkenden dokumentiert. Jeder sollte diese Zeilen über die ‚Hinrichtungssymphonie‘ lesen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen: Die brutale Gewalt und das Morden des iranischen Regimes müssen gestoppt werden!

Ahmadreza Hari und alle weiteren politisch Verfolgten und Inhaftierten in Iran müssen freigelassen werden! Ich werde mich weiter für die Freiheit der Iranerinnen und Iraner einsetzen und gegen das menschenverachtende Regime protestieren.

Zum Hintergrund:
Ich habe im September 2023 die politische Patenschaft für Ahmadreza Haeri übernommen. Haeri ist ein bekannter politischer Aktivist in Iran. Vor seiner Inhaftierung war er eine wichtige politische Stimme und machte in Interviews und auf seinen Social-Media-Kanälen regelmäßig auf die politische Situation in Iran aufmerksam. Am 27. Juni 2022 wurde Haeri festgenommen und im August 2022 zu einer Haftstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die Anklagepunkte lauteten: „Versammlung und Verschwörung mit dem Ziel, die nationale Sicherheit zu stören“ und „Propaganda gegen den Staat“. Das sind die gängigsten Vorwürfe, die Angeklagten bei politisch motivierten Inhaftierungen in Iran zur Last gelegt werden. Konkret bedeuten sie: Reden und Denken verboten.

Es ist nicht das erste Mal, dass das iranische Regime versucht, ihn zum Schweigen zu bringen: Bereits Mitte der 2010er Jahre war er ein politischer Gefangener. Im Juni 2023 wurde Haeri in Abwesenheit wegen der angeblichen „Verbreitung von falschen Informationen“ zu weiteren drei Monaten Haft verurteilt. Grund hierfür war ein Brief, den Haeri an eine UN-Sonderberichterstatterin schrieb, als diese den Iran besucht hatte.

Im September 2023 wurde Haeri willkürlich gemeinsam mit anderen Gefangenen vom Evin-Gefängnis Teheran in das Ghezel-Hesar-Gefängnis nach Karaj verlegt. Die Verlegung von Gefangenen ist ein systematisches Repressionsmittel der Justiz, um Druck auf die Gefangenen und deren Familien auszuüben. Der Gefangene wird aus seiner „Routine“ gerissen und in ein anderes Gefängnis verlegt – ohne Vorankündigung, ohne Begründung.